Eindrücke vom DSS-Jahrestreffen im Juli 2006 in Bremen
von Bernhard Vogel
Als Karl der Große 787/89 den Missionar Willehad mit dem neugegründeten Bistum Bremen betraute, ging es vor allem um zwei Dinge, nämlich um die Bekehrung der umliegenden vorwiegend heidnischen Bevölkerung zum „wahren Glauben“, und um einen Stützpunkt an der unsicheren Nordgrenze des fränkischen Königtums; und die Reise dorthin war weit und nicht ohne Risiko für Leib und Leben. Heute hingegen spielen solche Gefahren von außen keine Rolle mehr – aus Bremen ist längst ein fester Teil von „Frank’s Reich“ geworden.
So kamen am vorletzten Juliwochenende aus allen seinen Teilen insgesamt zweieinhalbdutzend getreue Sinatra-Untertanen in der Stadt an der Weser zusammen, um gemeinsam dem „Herrscher“ zu huldigen. Daß sich dazu anhaltend prächtiges Kaiserwetter eingestellt hatte, versteht sich fast von selbst…
Im Laufe des Freitags konnte Tim, unser Statthalter und Stadtmusikant vor Ort, bereits die meisten der zu Lande und in der Luft anreisenden Gäste in Empfang nehmen und am Spätnachmittag auf dem Platz vor dem Rathaus versammeln, von wo aus man gemeinsam zu einem gut zweistündigen Spaziergang aufbrach. Der Weg begann natürlich am steinernen Roland, der an den sagenhaften bretonischen Markgrafen Hruotland (den Helden des altfranzösischen Rolandsliedes und vieler anderer bedeutender Werke der europäischen Literatur vergangener Jahrhunderte) erinnert, der selbst gar nichts mit Bremen zu tun hatte und doch im Laufe der Jahrhunderte so etwas wie der Bremer Schutzpatron geworden ist.
Das beeindruckende architektonische Ensemble des Petridoms und manch andere Zeugnisse und Denkmäler der großen Vergangenheit Bremens als Handwerks- und Hansemetropole säumten unseren Rundgang, begleitet von den sachkundigen Erläuterungen unserer Stadtführerin Angelika. Wer sich unter Bremen eine eher norddeutsch-unterkühlte Großstadt vorgestellt hatte, wurde spätestens in den engen Gassen und romantischen Hinterhöfen des alten Schnoorviertels eines Besseren belehrt – dort herrscht geradezu mediterranes Flair. Auch das kleinste Hotel der Welt gibt es dort. Und wer selbst im Hochsommer schon wieder an den Winter denkt, kommt ebenfalls auf seine Kosten – der „Weihnachtsladen“ mit einem großen Sortiment an Kerzen und Dekoration hat ganzjährig geöffnet.
Der Name Bremen kommt von der niederdeutschen Bezeichnung für „am Rande der Düne“ bzw. „des Wassers“, und natürlich darf eine kleine Promenade an der Weser, der alten Lebensader der Stadt, nicht fehlen. Was wiederum bedeutet: Ab auf die „Schlachte“! Dort ist es übrigens, anders als der Name vermuten ließe, gänzlich ungefährlich – geschlachtet wird dort höchstens in den Küchen der vielen dutzend Kneipen und Restaurants mit ihren über 2000 von Bäumen beschatteten Sitzplätzen im Freien. Bis in die Frühe Neuzeit hinein lag hier der alte Bremer Weserhafen, und die Kaufleute schlugen („slait“, daher „Schlachte“) als feste Schiffsanlegeplätze massive Holzbalken in den sandigen Untergrund.
In einem der Lokale wartete eine große Tafel auf uns, wo wir uns mit Essen und Trinken stärken und die Ankunft der Delegation aus Wien gebührend würdigen konnten. Danach aber ging es raus aus der City an den Stadtrand nach Vegesack, denn dort liegt „Haus Hügel“, eine Jugendstilvilla aus dem frühen 20. Jahrhundert, inmitten eines schattigen Parks mit altem Baumbestand. Dort betreibt die evangelische Landeskirche heute ein Gäste- und Tagungshaus. Und „getagt“ werden sollte natürlich noch, denn daß die Nächte vorwiegend zum Schlafen gedacht seien, darüber steht nichts in der Satzung der DSS…
Perfekt muldimedial ausgestattet fanden wir den Tagungsraum vor, der sich mit ein paar Knopfdrücken an der drahtlosen Fernbedienung in einen „Konzertsaal“ verwandeln ließ, wo natürlich jetzt Sinatra via Beamer die Leinwand dominierte, mit einigen seiner Konzerte und Shows aus fünf Jahrzehnten. Und zwischendurch schöpfte unser „Soundman“ Thilo natürlich auch aus dem großen Audio-Fundus von „The Voice“. Davon ließ man sich gern anstecken.
Zwar wurde auf diese Weise aus Sinatras „It’s a quarter to three…“ flugs „it’s a quarter past five“ – doch der Sinn des Lieds „Get Me To The Ship On Time“ blieb am erbarmungslos anbrechenden frühen Vormittag dann einigen Teilnehmern verborgen… denn schon um 9 Uhr ging es per kurzer Busfahrt zur Anlegestelle in Vegesack. Dort bestiegen wir die „MS Oceana“, die bereits 70 Jahre auf dem Buckel hat, um uns bei herrlichstem Sonnenwetter (und für manch müde Augen besonders erfrischender Brise) in knapp drei Stunden die Weser hinunter bis zur Mündung nach Bremerhaven schippern zu lassen. Die großen Hafenanlagen und teils stillgelegten Trockendocks links und rechts, zu denen der Kapitän jeweils kurze Erläuterungen gab, erinnerten dabei an die jüngere Vergangenheit Bremens und die bis heute nur teilweise überwundenen Strukturprobleme. Mit den Resten der verbunkerten U-Boot-Fabrik „Valentin“ zieht auch ein eher schauerliches Kapitel vorüber – mehr als 12.000 Zwangsarbeiter verbauten dort bis März 1945 für die Kriegsindustrie der Nazis Beton in der Masse von mehr als 10.000 Wohnhäusern; ein Drittel von ihnen kam dabei um.
In Bremerhaven an den alten Columbus-Docks an Land zu gehen, bedeutet, sich auf die Spuren vieler tausend Menschen zu begeben, die sich einst hier einschifften, um ihr Glück jenseits des Atlantiks zu versuchen – so wie es von Italien aus zur Jahrhundertwende auch Sinatras Großeltern getan hatten. Besondere persönliche Erinnerungen auch für unser Mitglied Tony, der vor vier Jahrzehnten ebenfalls von Bremerhaven mit dem Schiff nach Amerika aufgebrochen war. Gleich am Fluß liegt dort das „Deutsche Auswandererhaus“ (http://www.dah-bremerhaven.de), das seit 2005 mit einer komplett neuen Multimedia-Ausstellung aufwartet, kann man sich auf Spurensuche begeben. Einige hingegen begaben sich lieber auf Nahrungssuche, zum Beispiel in einem hervorragenden nahegelegenen Fischrestaurant mit vielerlei regionalen Spezialitäten. Und der Präsident lernte, daß man „Kulturscholle“ sogar essen kann… die wird nämlich vom Kutter eingebracht!
Mit der guten alten (und natürlich verspäteten) Eisenbahn gings von Bremerhaven wieder zurück nach Vegesack – und dort gleich weiter im Programm, denn schließlich gehört auch die formale Vereinsarbeit, sprich die Mitgliederversammlung, zum Kernpunkt jeden Jahrestreffens. Über den genauen Verlauf der Versammlung und die Ergebnisse der Vorstandswahlen könnt Ihr Euch im offiziellen Protokoll informieren. Pünktlich gegen 19 Uhr wurde die Versammlung geschlossen – schließlich wartete im Speisesaal der Villa ein opulentes Abendbuffet auf uns, mit dem uns die hauseigene Küche verwöhnte. Danach gab es noch einen offiziellen Fototermin, denn unsere Anwesenheit war der Lokalpresse nicht verborgen geblieben. Aus einem gut halbstündigen Gespräch mit der Journalistin ist ein schöner Artikel entstanden, den Ihr im Netz über unsere DSS-Homepage nachlesen könnt.
Den restlichen Abend ließ man wiederum mit zwangloser Geselligkeit ausklingen – drinnen im „Konzertsaal“, oder zwischendurch auch draußen auf den Bänken im Park. Wer nicht gleich am Sonntag morgen wieder abreisen mußte, konnte nochmal durch die Bremer Innenstadt schlendern, zum Beispiel das berühmte Glockenspiel in der Böttcherstraße mit seinen 30 Glocken aus Meißner Porzellan bestaunen, bei Kaffee und Kuchen an der alten Windmühle am Stadtgraben nochmal Tim für seine rundrum perfekte Organisation zu danken und die schönen Bremer Tage Revue passieren lassen.
Und da bleibt einiges Erinnerung, nicht nur das Wiedersehen mit inzwischen liebgewonnenen „alten Bekannten“, sondern, wie schon in den vergangenen Jahren, auch das Kennenlernen „neuer Gesichter“. Tony aus Augsburg, Thomas aus Regensburg, Katharina aus Wien und Kathleen aus Buchholz mit ihrem Mann waren erstmals bei einem Jahrestreffen dabei. Yvonne und Marty aus Hamburg (die sich übrigens „über Sinatra“ überhaupt kennengelernt haben und jetzt zusammenwohnen) stießen am Samstag als Gäste dazu. Und ein mitgereister Vater, der eigentlich „nur mal gucken“ wollte und dann spontan seinen Aufenthalt verlängerte, faßte seine Eindrücke so zusammen:
„Es war schön, Euch kennengelernt zu haben – die Sinatrabegeisterung ist auf mich übergegangen. Ich freue mich schon auf Regensburg, wenn Desiree mich mitnimmt“.
Die Vorfreude auf Regensburg teilen wir alle – im dortigen UNESCO-Weltkulturerbe nämlich soll im Sommer 2007 das nächste Jahrestreffen der DSS stattfinden. „Unsere“ Regensburger, Andi, Thomas, Franz und Matthias sitzen schon in den Startlöchern… Sinatra ist eben überall. Und nach dem Treffen ist vor dem Treffen. In diesem Sinne: See you there