Jahrestreffen der Deutschen Sinatra Society haben immer auch einen touristischen Inhalt. Neben der Freude sich wiederzusehen und über Frank Sinatra auszutauschen, seine Musik gemeinsam zu hören und die Formalia des Vereinslebens abzuarbeiten, ging es immer auch darum den Austragungsort des Vereinstreffens – Land und Leute – kennenzulernen.
Immer? Nein, das stimmt nicht ganz, die ersten drei Treffen standen noch ganz unter dem Zeichen der Vereinsgründung. Beim Gründungstreffen in Fürth und den beiden Nachfolgetreffen im niederrheinischen Rheinberg und in Berlin stand die DSS im Mittelpunkt, die Satzung, der Vorstand, die Zusammenarbeit im Verein, das Magazin „The Voice“, der Vereinseintrag beim Amtsgericht, die Homepage…
Von den Sehenswürdigkeiten Fürths, Rheinbergs oder Berlins bekam ein Großteil der Teilnehmer nichts mit. Ein nennenswertes Rahmenprogramm dieser Mitgliederversammlungen war nicht vorhanden, allenfalls hat sich der eine oder andere Teilnehmer im Umfeld der offiziellen Versammlung privat etwas angeschaut.
Dies änderte sich erst 2003 beim Jahrestreffen in Wien, als unter der Federführung von Alfred Terschak das Jahrestreffen zu einem durchchoreografierten Gesamterlebnis wurde. Die Stadtrundfahrt im verdunkelten Rapid-Wien-Mannschaftsbus blieb wohl jedem Teilnehmer in Erinnerung. Unvergessen die zahlreichen Rapid-Fans am Straßenrand, die den Bus ganz aufgeregt anstarrten in der Annahme, in diesem befänden sich die Stars der Mannschaft; stattdessen waren es nur Sinatrafans auf Entdeckungstour durch die österreichische Hauptstadt. Wohl selten hat man als Nicht-Wiener diese Stadt so erleben können. Wir bekamen die touristischen Highlights zu sehen, aber auch ein Wien hinter den Kulissen. An diesem sehr speziellen Jahrestreffen gab es wohl nur eine Kritik: Alfred hat die Messlatte für andere Jahrestreffen sehr hoch gelegt. Die Organisatoren der Nachfolgetreffen sahen sich von nun an in der Pflicht, den Ort des Jahrestreffens ebenso zu präsentieren, wie es Alfred 2003 geschafft hat. Kein Wunder, dass bei einer solch anspruchsvollen Aufgabe die potentiellen Organisatoren nicht Schlage stehen. Dennoch hat sich seitdem noch jedes Jahr ein Organisator gefunden und jedes Jahr – von der Coronazwangspause abgesehen – fanden seither Jahrestreffen mit oft sehr fulminantem Rahmenprogramm statt.
Neun Jahre nach dem 2003-Treffen wurde Alfred dann selbst „Opfer“ der von ihm gesetzten Maßstäbe, als er 2012 ein weiteres Jahrestreffen in Wien organisierte. In den Jahren danach wurde Wien immer wieder mal als Ort eines dritten DSS-Treffens ins Gespräch gebracht. Als Gegenargument was zu hören, Wien sei doch „auserzählt“.
Für 2024 fiel dann doch wieder die Wahl auf die österreichische Hauptstadt, wohl auch nicht ganz dem Hintergrund ungeschuldet, dass der Hauptorganisator des Treffens eine Verlagerung des Wohnorts in einen anderen Teil der vormaligen K-und-K-Monarchie beabsichtigte und das Jahrestreffen somit sein vorerst letztes in Wien sein dürfte.
Wie also nun Wien erzählen für ein Publikum, das – zu einem erheblichen Teil – die Stadt bereits kennt? Der Anmeldestand des Treffens befand sich auf Rekordhöhe, wohl auch dem Umstand geschuldet, dass es viele DSS-Teilnehmer nicht weit hatten. Die Österreicher haben heute einen nicht unerheblichen Anteil an der Vereinsmitgliederschaft. Wäre dies schon bei der Gründung in Fürth im Jahr 2000 so gewesen, hätte sich der Vereinsname „Deutsche“ Sinatra Society womöglich so nicht durchsetzen lassen.
Eine klassische Stadtbesichtigung mit dem üblichen Touristenprogramm schied damit aus. Stattdessen wurde das Wien-Treffen um zwei besondere Führungen durch besondere Bauwerke Wiens herumkonzepiert: Der Stephandom und die Wiener Stadthalle; ein Dom aus dem 12. Jahrhundert und eine Veranstaltungshalle, die 1958 eröffnet wurde; zwei Bauwerke die einiges miteinander gemein haben.
Den Anfang machte am Freitag der Stephansdom. Freitag, der 20. September- so spät im Jahr hat noch nie ein DSS-Mitgliedertreffen begonnen. Günstige Vorzeichen hatte das Mitgliedertreffen nicht. Von einem „massiven Hochwasserereignis“ sprachen die Behörden. Dieses betraf ganze Teile Europas und war nach August 2002 und Juni 2013 das dritte große Hochwasser im Wiener Raum in diesem Jahrtausend. Das gesamte Bundesland Niederösterreich wurde zum Katastrophengebiet erklärt, der Wienfluß erlebte ein Jahrtausendhochwasser, die Westbahn nach Deutschland wurde umgeleitet, der Wiener U-Bahn-Verkehr war stark eingeschränkt, österreichweit mussten zahllose Gebäude und Siedlungen evakuiert werden, es gab einzelne Todesfälle.
Einige Wochen vor dieser Hochwasserkatastrophe geriet Wien schon einmal negativ in die Schlagzeilen. Die Behörden sahen sich nicht in der Lage die Sicherheit einer Reihe langer geplanter Großkonzerte zu gewährleisten, weil man islamistischen Anschläge befürchtete. Die ausverkauften Konzerte wurden abgesagt. Bundeskanzler Nehammer sprach von einer sehr ernsten Situation.
Von islamistische Terrorgefahr und Rekordhochwasser merkten die von außerhalb angereisten Teilnehmer des DSS-Treffens nur noch wenig, als sie bei strahlendem Sonnenschein in Wien eintrafen. Spätsommerlich war die Atmosphäre am Stephansplatz, als dort nach und nach die Teilnehmer des Treffens erschienen. Zuvor haben sich einige schon im zentral in der Nähe des Westbahnhofs gelegenen Boutique-Hotels begrüßen können. Enrico Ferraris, unser italienisches Mitglied, das meistens den längsten Anreiseweg aller Teilnehmer hat, stand wieder einmal mit seiner Videokamera parat, um die Szenerie zu filmen. Wie in den Vorjahren sollte aus den Aufnahmen erneut eine interessante Dokumentation des Treffens werden.
Pünktlichkeit wurde bei der Ankündigung des Treffens auf dem Stephansplatz großgeschrieben, denn es erwartete uns nicht nur eine Führung durch den Dom, sondern auch ein Blick hinter die Kulissen, der nicht jedem offensteht. Wien, dorthin wo die Touristen nicht hinkommen, wurde uns versprochen. Das Versprechen wurde gehalten und wir erlebten den Stephansdom von unten bis oben, von Katakomben und Kellerräumen, die mal elektrifiziert waren, die aber seit Jahrzehnten ohne Strom sind, weil das Bauamt eine größere Lösung scheut, über die dem Bischof vorbehaltenen Vorbereitungsräume bis hin zum Dachboden, der aus Gründen des fehlenden zweiten Fluchtwegs in der Regel nicht von Externen betreten werden darf. Besonders beeindruckend war der Rundgang auf der Dachgalerie. Das abendliche Wien, bei dem die Sonne bereits untergegangen war, lag uns zu Füßen. Ein traumhafter und äußerst beeindruckender Beginn eines DSS-Treffens, den die Teilnehmer sicher nie vergessen werden. Nur das mit der Pünktlichkeit müssen die Wiener noch üben: Aufgrund eines Missverständnisses begann die großartige Führung über eine Stunde verspätet.
Der Abend endete mit einem Essen im „Magazin“, einem Restaurant mit traditioneller Wiener Küche, die Nachtschwärmer zogen weiter ins „Nightflys“, die legendäre Bar aus der Frühgeschichte der DSS.
Am nächsten Morgen ging es nach einem opulenten Hotelfrühstück weiter mit der nächsten Führung durch ein besonderes Gebäude, der Wiener Stadthalle. Führungen hinter die Kulissen der Wiener Stadthalle werden nicht öffentlich angeboten, daher war auch dieser Tagesordnungspunkt etwas ganz Besonderes. Wie beim Stephansdom bekamen wir auch bei der Wiener Stadthalle das ganze Gebäude vom Keller bis zum Dach zu sehen. Wir sahen die ursprüngliche Stadthalle, aber auch die die angeschlossenen Erweiterungsbauten, die Raumlufttechnik, die noch mit wartungsarmen Ölfiltern arbeitete, ein internes Fernmeldesystem, was angeblich für die Sinatra-Konzerte eingebaut wurde und heute noch intern nach Sinatra benannt ist. In besonderer Erinnerung bleibt sicher vielen Teilnehmern der Ersthelferraum, der bis zu einem Umbau 2015 die Hauptkünstlergarderobe war. In diesem tageslichtlosen Raum haben sich die größten Künstler der zweiten Hälfte des 20en Jahrhunderts in den Konzertpausen aufgehalten. Den Anfang machte im Februar 1959 Louis Armstrong. Lionel Hampton folgte ihm, ebenso wie Juri Gargarin, der zwar nicht musizierte, aber von seinen Weltraumerlebnissen berichtete. Paul Anka und die Rolling Stones waren ebenso dort, wie Freddie Mercury, Sammy Davis Jr. und Udo Jürgens. Für Mitglieder der DSS war natürlich am wichtigsten zu wissen, dass auch Frank Sinatra mehrfach Gast in dieser Halle war.
Der Nachmittag des Sonnabends stand den Teilnehmern zur freien Verfügung, Zeit sich zu stärken und Kräfte zu sammeln für den offiziellen Teil des Treffens.
Dieser bestand zunächst aus einem Pflichtteil. Wie bei jedem eingetragenen Verein mussten Wahlen und Aussprachen durchgeführt und Kassenberichte zur Kenntnis genommen werden. Großen Dank gilt hier Andreas Kroniger, der sich bereit erklärt hat, erneut die verantwortungsvolle Aufgabe des Chefredakteurs des Vereinsmagazins „The Voice“ zu übernehmen.
Ebenso großen Dank gilt Hermann Wallner und seiner Familie für die Gastfreundschaft und die Zurverfügungstellung der „Location“: Das DSS-Treffen fand in den Räumen einer Wiener Altbauwohnung statt, die ansonsten den Musikern der „Blue Eyes Big Band“ als Proberaum zur Verfügung steht. Bühne frei hieß es auf der Probebühne dann für Thomas Gulz, der uns mit großartiger Instrumentalmusik begeisterte, natürlich mit Sinatra-Liedern. Andreas Kroniger gestaltete seinen inzwischen traditionellen Sinatra-Videoabend, diesmal mit einem Quiz verbunden. Immer wieder erstaunlich, wo Andreas diese Masse an Videoraritäten findet. Karlheinz Sandler stellte seine „Franky“ Rot- und Rosé-Weine zur Verfügung, Hermann Wallner seine diversen Fassbiere, Alexej Schicke überraschte beim Tagesordnungspunkte „nächstes Mitgliedertreffen“ mit einer ziemlich präzisen Planung für ein Jubiläumstreffen im Großraum Nürnberg/Fürth, sogar ein Hotel war bereits angefragt.
Wien war noch lange nicht auserzählt. Dies war das Resümees dieses verlängerten, aber viel zu kurzen Wochenendes. Vielleicht wird es irgendwann wieder ein DSS-Treffen in der österreichischen Hauptstadt geben, dann hoffentlich ohne vorherige Terrordrohungen und Naturkatastrophen. Dank an allen Mitwirkenden, auch an die, deren Namen in diesem Artikel nicht genannt worden sind. (Text: Marcus Prost)