Tony Bennett in Glasgow – eine Konzertreise mit persönlicher Begegnung

Schön wars, meine Reise nach Glasgow, wir hatten gutes Wetter, und wenn man dort mit dem Bus fährt, kann man dabei über die Lautsprecher Musik hören. Als ich einstieg, um zu meinem Quartier zu gelangen, lief gerade Dean Martin – und später zum Abendessen gab es passenderweise Pasta Siciliana. Dazu australischen Rotwein, was wiederum ebenfalls paßte, denn mein Gastgeber und Uni-Kollege legte ein Sinatra-Konzert aus Brisbane in den CD-Spieler.

Aber auch sonst habe ich viel Neues gelernt! Zum Beispiel weiß ich jetzt, wo Weeze liegt. Es ist ein kleines Dörfchen am Niederrhein, ein paar Kilometer nördlich vom Marienwallfahrtsort Kevelaer und eine Zugstunde von Düsseldorf. Sein alter amerikanischer Militärflugplatz heißt jetzt „International Airport“, von wo aus man mit Ryanair für einen Euro nach Schottland fliegen kann. Es lohnt sich also, zu wissen, wo Weeze liegt.

Hans-Hubert Vogts sieht das übrigens genauso, denn der saß auf dem Hinflug am Montag im selben Flugzeug wie ich, und lustigerweise beim Rückflug drei Tage später ebenfalls: Auch Welt- und Europameister fliegen also billig. Deswegen weiß ich jetzt, daß Berti nur wenig größer ist als es Frank Sinatra war, und daß er grüngrau karierte Jacketts mit aufgenähten braunen Wildleder-Ärmelschonern trägt. Und besitze nun zwei von ihm signierte Flugtickets.
Daß Antonio Dominic Benedetto eine Wucht ist und wie sehr Francis Albert Sinatra recht damit hatte, als er Tony Bennett den außer ihm selbst letzten noch lebenden „Saloon Singer“ nannte, wußte ich hingegen schon länger, spätestens seit ich ihn vor zwei Jahren zum ersten Mal im Konzert erlebte. So hatte ich auch keine Sekunde gezögert, als sich nun nach London und Glasgow 2003 und London 2004 erneut die Gelegenheit bot, unser Ehrenmitglied und sein Quartett auf der Bühne zu sehen.
Seit 60 Jahren ist Tony nun im Geschäft, und am liebsten würde er, wie er dem Publikum in Glasgow augenzwinkernd mitteilte, „noch weitere sechzig Jahre“ weitermachen. Einwände dagegen gäbe es wohl kaum, denn stünde es nicht schwarz auf weiß in seiner Biographie, kein Mensch käme auf den Gedanken, daß Bennett im nächsten August 79 wird. Wie schon in den vergangenen Jahren, so lief er auch an diesem Abend zu brillianter Form auf und riß mit seinem neunzigminütigen Programm aus 24 Liedern die Zuhörer in der ausverkauften Royal Concert Hall zu Begeisterungsstürmen hin.
Unwiderstehlich sind seine Interpretationen, und atemberaubend ist seine meisterhafte Kontrolle von Melodie und Rhythmus, ob bei Balladen wie „If I Ruled The World“ und „Smile“ oder bei Swingern wie „I Love A Piano“ oder „Steppin’Out“. Dazu kommt professionelle Textsicherheit, von Versingern oder Telepromptern keine Spur. Auch ist Bennett leiser geworden in den letzten Jahren, singt seine Lieder vielfach subtiler als früher, intensiver und nuancierter, in seinem Gesang ebenso wie in seiner Gestik – nirgendwo wird das deutlicher als in Kurt Weills „Speak Low“, das sich in seinem Repertoire zum heimlichen Höhepunkt gemausert hat, auch wenn seine „signature songs“ wie „The Best Is Yet To Come“ oder „I Left My Heart In San Francisco“ natürlich nicht fehlen dürfen.
Wie stark Tony Bennett in diesen Tagen ist, zeigt überhaupt schon die Tatsache, daß er sich nach wie vor nur von einem Rhythmusquartett begleiten läßt – das kann nur gelingen, wenn der Sänger vollständig „in command“ ist. Und das ist er, lotet die Akustik der Konzerthallen immer noch mit einem ohne Mikrophon vorgetragenen „Fly Me To The Moon“ aus. Daß Bennett stärker als andere, namentlich stärker als Frank Sinatra, ein vom Jazz beeinflußter Performer ist, wird auf diese Weise in seinen Konzerten ebenfalls deutlich. Viele seiner Nummern beinhalten grandiose Soli seiner Instrumentalisten, vor allem von Lee Musiker am Klavier und Grey Sargent an der Gitarre, und mitunter läßt sich Bennett auch selbst von der Improvisation davontragen, ob bei der großen Scat-Zeile am Schluß von „It Don’t Mean A Thing“ oder an diesem Abend mit seiner Ellington-Hommage „In A Mellow Tone“. Dabei stützte sich Bennett auf die fabelhafte Begleitung seines Bassisten Paul Langosch, der seit 20 Jahren dabei ist, ebenso wie auf Harold Jones, den neuen Schlagzeuger, der erst vor wenigen Wochen neu dazugekommen ist und früher unter anderem lange Jahre für Count Basie, Sarah Vaughan und Ella Fitzgerald gearbeitet hat.
Wie stets beendete Bennett sein Programm mit seiner Hommage an Frank Sinatra, und auch wenn er die dazugehörige Geschichte schon endlose Male erzählt hat, so ist sie doch jedesmal wieder ehrlich klingend und nachdenklich stimmend zugleich, weil sie nicht nur an die enge Freundschaft der beiden Sänger und an Tonys aufrichtige Bewunderung für Sinatra erinnert, sondern auch ins Gedächtnis ruft, daß The Voice eine nicht zu schließende Lücke hinterlassen hat. „How Do You Keep The Music Playing?“, dessen Interpretation Tony keiner nachmacht und von dem Sinatra sagte, es sei „Tony’s song“, ist dafür im doppelten Sinne das passende Stück.
Nach dem Konzert aber hieß es: „The Best Is Yet To Come“! Im Laufschritt raus aus der Halle und zur unscheinbaren „stage door“ an der Westseite des Gebäudes. Mark Fox, Präsident der „Tony Bennett Appreciation Society“, hatte es nämlich dank Michaels Initiative möglich gemacht, daß wir erneut die Gelegenheit für eine kurze persönliche Begegnung mit Tony Bennett haben würden, an demselben Ort, an dem er vor drei Jahren unsere Ehrenmitgliedschaft entgegennahm.

Dort entspann sich zunächst eine lockere Unterhaltung mit dem sympathischen Paul Langosch, der seit zwei Jahrzehnten Tonys Konzerte und Schallplattenaufnahmen am Baß begleitet – und, wie sich herausstellte, seit längerem mit einer Studentin meines Glasgower Gastgebers befreundet ist, auf die wir dort ebenfalls trafen. So klein kann die Welt sein… Langosch erzählte spannende Hintergrundgeschichten aus dem Tourneeleben, und nebenbei war auch zu erfahren, daß Tony Bennetts Konzerte dieser Tage „in der Regel“ auch professionell mitgeschnitten werden. Harold Jones, den neuen Schlagzeuger, habe er schon als Jugendlicher bewundert, sagte Langosch, und nun mit ihm gemeinsam musizieren zu dürfen, sei ein Traum. Später, als die Entourage das Gebäude verließ, kam es auch noch zu einem kurzen Handschlag mit Jones selbst und mit Bennetts Pianisten Lee Musiker, der mit Zigarette in der Rechten über seinen deutschen Nachnamen scherzte.
Nach einer knappen Viertelstunde dann erschien Tony Bennett, wie stets perfekt gekleidet im Maßanzug und elegant übergeworfenem schwarzen Ledermantel. Er wirkte auf mich lebendiger und ausgeruhter als vor zwei Jahren – gleich geblieben ist hingegen seine freundliche und offene, natürliche und völlig allürenfreie Art des Auftretens. Hände wurden mehrfach geschüttelt, Michael bekam sogar einen freundschaftlichen Schulterklopfer (herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle, Sir Michael). Er nahm sich für jeden von uns Zeit, schrieb bereitwillig Autogramme, posierte für ein gemeinsames Photo und erinnerte sich im Gespräch an seine frühen Auftritte in Wiesbaden, als er als G.I. in Deutschland weilte. Sein erster Satz bei unserer Begrüßung war „you have a pope now from Germany“ – die Wahl hatte ja wenige Stunden vor Konzertbeginn stattgefunden, und Tony hatte sie im Fernsehen verfolgt. Ob er sich auch darüber klar war, daß der neue Papst, ebenfalls 78 Jahre alt, seinen Namen trägt? Denn Benedikt heißt auf italienisch Benedetto…

In einem der schönsten Pubs der Stadt, im „Wetherspoon“ am George Square, ließen wir dann einen unvergeßlichen Konzertabend ausklingen. Danke, Mr Bennett – habemus Tony!

AN EVENING WITH TONY BENNETT

18.April 2005, 20.00 – 21.30 Uhr

  • Klavier: Lee Musiker
  • Gitarre: Grey Sargent
  • Baß: Paul Langosch
  • Schlagzeug: Harold Jones
  • Toningenieur: Tom Young

Programm:

  1. Watch What Happens
  2. The Best Is Yet To Come
  3. Maybe This Time
  4. I Love A Piano
  5. Cold Cold Heart
  6. All Of Me
  7. Speak Low (When You Speak Love)
  8. I Got Rhythm
  9. I Remember You
  10. For Once In My Life
  11. The Good Life
  12. If I Ruled The World
  13. Smile (Though Your Heart Is Aching)
  14. I Wanna Be Around
  15. I Left My Heart In San Francisco
  16. Steppin’Out
  17. All For You
  18. Who Cares / They Can’t Take That Away From Me
  19. Old Devil Moon
  20. In A Mellow Tone
  21. It Don’t Mean A Thing (If It Ain’t Got That Swing)
  22. Fly Me To The Moon (In Other Words)
  23. Just A Little Street
  24. How Do You Keep The Music Playing?

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