Hugo Strasser – SWING IST EINE LEBENSFORM!

von Bernhard Vogel

Er habe sich „vor ein paar Tagen“ bei einem Sturz den Fuß gebrochen, trage daher einen Gehgips und habe sich überdies dabei an den Lippen verletzt, „aber ich hoffe, ich werde die Töne trotzdem einigermaßen spielen können“. Um dann gemeinsam mit Max Greger wie selbstverständlich ein zweistündiges Swingfeuerwerk zu entzünden. Dazu braucht es mehr als bloß Berufsethos und Disziplin – wenige Monate zuvor hatte er seinen 82. Geburtstag feiern können.

Als fünftes von sechs Kindern wurde Hugo Strasser am 7. April 1922 in München geboren, wo sein Vater als „Schulhaus-Offiziant“, wie das damals hieß, Hausmeisterdienste versah. Vater Strasser war die treibende Kraft dafür, daß alle seine Kinder ein Instrument erlernen sollten, war er doch selbst, wie sein Sohn sich erinnert, sehr musikalisch, hatte dies aber als Landbauernbub nicht ausüben können. Und so konnte man schon 1929 zum ersten Mal den Namen „Hugo Strasser“ im Äther vernehmen, als nämlich der siebenjährige Bub bei der Kinderstunde des Bayerischen Rundfunks ein Mundharmonika-Solo zum Besten gab.

Nach erfolgreich absolviertem Vorbereitungskurs wurde Strasser 1938 an der Münchner Akademie der Tonkunst aufgenommen, wo er bis 1942 acht Semester lang studierte. Daß er dabei die Klarinette zu seinem Hauptinstrument erkor, war, wie Strasser sich später erinnerte, „reiner Zufall“: Beim Aufnahmegespräch mit dem Akademiedirektor war Professor Arnold zugegen, damals Erster Klarinettist an der Bayerischen Staatsoper, und er nahm den jungen Hugo unter seine Fittiche. Dabei entpuppte Strasser sich als Naturbegabung, erlernte das schwierige Instrument rascher als die meisten anderen Schüler, und entwickelte auch schon bald seinen „eigenen Ton“, der ihn bis heute unverwechselbar macht.

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Hugo Strasser (l.) mit Katharina Herrmann bei der Ehrung in Leipzig.

An der Akademie freilich dominierte der „klassische“ Stoff -. Kaffeehausmusik war verpönt, und amerikanischer Swing, für den sich Strasser wie viele andere bald zu begeistern begann, durch die Nazis gar offiziell untersagt. In seinem Büro, so Strasser, bewahre er bis heute ein Schild mit der Aufschrift „Swing tanzen verboten! Die Reichsmusikkammer“ auf, „damit ich mich immer daran erinnern kann, was das damals für Idioten gewesen sind“. Doch man fand Mittel und Wege, sich die heiß begehrten Schallplatten von Glenn Miller, Benny Goodman oder Ella Fitzgerald etwa über das besetzte Paris zu besorgen. Und auch dafür, sich selbst der Spielfreude an diesen Stücken hinzugeben, gab es Tricks.

„Zum Beispiel ‚Whispering (While You Cuddle Near Me)‘ war ein toller amerikanischer Schlager“, erinnert sich Strasser an ein Stück aus dem Repertoire des Orchesters von Paul Whiteman (1920), das damals gerade in der Neuaufnahme vom Orchester Tommy Dorsey (Juni 1940) Furore machte, gesungen von Frank Sinatra. „Bei uns hieß das dann ganz einfach: ‚Laß mich (Dein Badewasser schlürfen)‘. So hat es viele amerikanische Songs gegeben, die mit deutschen Texten versehen worden sind, damit sie auf diese Art und Weise getarnt waren. Aus diesem Grund haben wir damals bereits diese Musik spielen können und uns daran begeistert“. Die Erfahrung mit dieser Musik, sagt Strasser, habe ihn damals für seine weitere Karriere geprägt. Den Krieg überstand Strasser ab 1942 als Militärmusiker in Offizierskasinos.

Für junge Swingmusiker wie Strasser bedeutete das Kriegsende eine doppelte Befreiung, denn nun konnten sie endlich drauflos spielen, auch zur Freude und mitunter auch zur Überraschung der amerikanischen Besatzungsarmee, die im Raum München zahlreiche Musiklokale unterhielt. Überhaupt war München damals eine Keimzelle deutscher Swingtraditionen, geprägt von Klubs wie dem „Orlando di Lasso“ am Platzl oder dem legendären „Kellerklub“ auf dem Gelände der Flak-Kaserne im Stadtteil Freimann, wo Strasser als Mitglied verschiedener kleiner Bands nun regelmäßig aufspielte und dabei zahlreiche Größen des amerikanischen Jazz persönlich kennenlernte, zum Teil auch mit ihnen gemeinsam musizieren konnte: Count Basie, Duke Ellington, Ella Fitzgerald, Louis Armstrong und viele andere gaben sich in der „Kellerbar“ die Klinke in die Hand.

„Wir standen also mit diesen für uns unwahrscheinlich berühmten Leuten zusammen auf der Bühne: Dort konnten wir uns so richtig austoben und uns auch ein wenig mit ihnen messen“, erinnert sich Strasser. „Zum Beispiel mit Louis Armstrong habe ich ‚Tuch an Tuch‘ gespielt. Das waren schon tolle Erlebnisse für uns junge Burschen, die wir damals am Anfang unseres Berufes gestanden haben.“

Besonders Benny Goodman wurde für Strasser und seine Klarinette zum Vorbild, viele seiner Stücke hat er noch immer in seinem Repertoire. Geprägt hat ihn in diesen frühen Nachkriegsjahren auch der Münchner Tenorsaxophonist Hans Rosendorfer, der regelmäßig in der Bar des Hotels Regina zu hören war und dem jungen Strasser bei zahlreichen gemeinsamen „Sitzungen“ Unterricht gab, sein Spiel schärfte, Tips und Kniffe gab. Rosendorfers Lieblingsstück, Hoagy Carmichaels „Stardust“, ist seither auch einer der Favoriten von Hugo Strasser – wunderbar, wenn man heute sechzig Jahre später den Klängen seiner Klarinette zu diesem Evergreen lauschen kann.

1947 stieß Strasser zu der kleinen aber feinen Swing-Combo des Schlagzeugers Freddie Brocksieper (1912-1990), mit der er anderthalb Jahre lang zusammenblieb, zahlreiche Klubkonzerte gab und in Sendungen wie Jimmy Jungermanns legendäre „Mitternacht in München“ auch im Radio zu hören war. Auch einen Filmauftritt gab es, 1949 in dem Streifen „Hallo Fräulein“ (Regie: Rudolf Jugert) mit Margot Hielscher, Hans Söhnker und Peter van Eyck. In dem Film wirkte auch Max Greger mit einer Big Band mit – und als Greger 1949 sein Orchester neu formierte, wurde Strasser sein Erster Saxophonist und arbeitete gelegentlich auch als Arrangeur.

Die frühen Fünfziger waren auch die, wie er es selbst nennt, „Schnulzenzeit“, und Strasser war clever genug, seinen Anteil daran zu sichern, indem er gemeinsam mit einem Münchner Kollegen das Stück „Edelweiß vom Wendelstein“ komponierte, daß sich über 600.000 Mal verkaufte und von vielen anderen kopiert wurde. „Damit habe ich mir mein Haus bauen können“, schmunzelt Strasser. Wenig Tantiemen hingegen erlangte er mit seiner Komposition „Einsame Trompete“, obwohl sie in der Aufnahme des amerikanischen Startrompeters Roy Anthony (der auch mit Sinatra gearbeitet hat) als „Lonely Trumpet“ ein Welterfolg wurde, denn Strassers Autorenschaft wurde von den Amerikanern glatt unterschlagen – internationale Urheberrechtsvereinbarungen gab es damals noch nicht. Später, als er bereits sein eigenes Orchester hatte, gelang Strasser mit seiner Version von „Goody Goody“ nochmals ein Charterfolg in den USA. Insgesamt hat er bis heute über 500 eigene Kompositionen und Arrangements geschaffen.

Ende 1954 schlug dann Hugo Strassers große Stunde, die seine weitere Karriere entscheidend voranbringen sollte, als ihm nämlich das Deutsche Theater in München anbot, ab Silvester die dortige Ballsaison zu begleiten und dafür ein eigenes Orchester zusammenzustellen. Strasser griff beherzt zu, gründete seine eigene Big-Band, für die er auch einige seiner bisherigen Kollegen aus Gregers Orchester gewinnen konnte, und hatte sogleich großen Erfolg. Rasch wurde seine Truppe für die nächsten Jahrzehnte zum offiziellen ständigen Ballorchester des Hauses – vor wenigen Tagen konnte Strasser dort sein fünfzigjähriges Bühnenjubiläum als Orchesterleiter feiern. Da seine Band seit dem ersten Münchner Auftritt 1955 ununterbrochen besteht, ist Hugo Strasser damit heute der dienstälteste Bandleader weltweit.

Einem Millionenpublikum vertraut wurde Strasser durch die „Nische“, in der er sein Orchester erfolgreich etablierte, nämlich die Tanzmusik. Für sein Label EMI Electrola spielte er unzählige Tanzmusikproduktionen ein, die sich über 6 Millionen Mal verkauften. Nach seinen „Tanzplatten des Jahres“, die in Zusammenarbeit mit dem Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband (ADTV) entstanden, erlernten mehrere Generationen, sich auf dem Parkett zu bewegen. Darüber hinaus begleitet Strasser bis heute zahlreiche nationale und internationale Tanzturniere. Das Geheimnis, nämlich die erforderliche hundertprozentige Präzision der Arrangements, hatte sich Strasser zu Beginn zusammen mit Tanzlehrern wie dem Nürnberger Paul Krebs erarbeitet. „Wer zur Musik vom Hugo nicht tanzen kann, hat keine Beine!“, heißt es seither. Strasser setzt dazu schelmisch hinzu: „Dann habe ich scheinbar keine Beine, denn ich selbst kann überhaupt nicht gut tanzen!“

Sich vor allem der Tanzmusik zu widmen, war dabei für Hugo Strasser nie eine ‚kommerzielle Notlösung‘, sondern stets echte Leidenschaft dafür, wenn Menschen sich zu seiner Swingmusik bewegten: Es ist seine genuine Liebe zum Swing, und die jugendliche Freude an der Musik, die er sich bis heute bewahrt hat und die bei seinen Konzertauftritten hörbar bleibt, die Hugo Strasser besonders verkörpert, und die er heute den vielen jungen Musikern in seinem Orchester, aber auch seinem Publikum weitergeben kann, wie schon seit mehr als einem halben Jahrhundert. Noch immer absolviert er über 100 Auftritte im Jahr; der Kontakt zum Publikum und die Bühnenluft seien ihm dabei die beste Medizin.

„Swing“, sagt Hugo Strasser, „ist weniger eine spezielle Musikgattung als vielmehr eine Lebensform, auch über die Musik hinaus. Sie sehen jemanden auf der Straße gehen, und ihnen ist sofort klar: Der swingt. Oder eben auch nicht. Wer mit zusammengesunkenem Oberkörper daherläuft, hat keinen Swing. Es geht um eine Lebenseinstellung, um Optimismus. Wie heißt es so schön? It don’t mean a thing, if it ain’t got that swing!

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